parallalie meinte am 25. Jan, 21:34:
was ich schrieb, muß man schon in der umkehrung lesen, die ich vorgenommen habe... weil es mir auf ein gedankenexperiment ankam. in dem sinne: läßt sich behaupten, daß es der sinnlichkeit an wissenschaft fehlt? genau das aber wollte ich dadurch nachweisen: daß sinnlichkeit vor aller wissenschaft liegt. ich weiß jetzt nicht, ob ich falsch verstanden worden bin. ein bißchen habe ich dieses gefühl.natürlich empfindet jeder anders, ob x und y heute, oder x vor 200 jahren und y heute.
die wissenschaft macht daraus kategorien : im nachhinein. aufgrund von thesen, die sie a priori aufstellt, und dann nachzuweisen sucht.
vielleicht sollte auch eher die rede sein von erkenntnis in diesem zusammenhang, die dann der wissenschaft die hand reicht.
und erkenntnis sollte meines erachtens so vorurteilslos wie möglich sein... nein darf überhaupt keine vorurteile haben. erkenntnis aber baut auf wissenschaft auf, die ihrerseits auf vorhergehenden erkenntnissen aufbaut.
die medien sind dabei nur marktschreier. man sollte - der erkenntnis zuliebe - nur in sich selbst schauen. wir müssen nichts verkaufen, aber wir dürfen etwas finden, was anderen nützlich sein kann. und sofern wir nichts merkantiles im sinn haben, müssen wir es weitergeben, so unvollständig und haspelnd es zuweilen sein mag. ein jeder mag nehmen, was ihm gemäß ist.
june antwortete am 25. Jan, 21:50:
parallalie, ich denke, sie missverstehen meine intention
mir geht es vor allem um einen diskurs, nicht primär um eine diskussion (um klar den gedankenaustausch vor die meinungsverschiedenheit zu stellen).was heisst, es liegt mir nichts daran, ihre position anzugreifen, mehr zu hinter-fragen.
es mag sein, dass sinnlichkeit VOR wissenschaft liegt. doch wieweit müssen wir in der menschheitsgeschichte zurückgehen, um die existenz von "wissenschaft" auszublenden und was können wir über die sinnlichkeit sagen, die vor der wissenschaft lag?
"die wissenschaft schafft kategorien". das tut sie. diese kategorien wiederum, werden in uns wirksam, in unserer art, die welt und uns selbst zu sehen, wahrzunehmen, auch zu empfinden. (die medien "schaffen" das nicht, sie verstärken es "lediglich", da haben sie völlig recht.
sie sagen: "erkenntnis sollte meines erachtens so vorurteilslos wie möglich sein... nein darf überhaupt keine vorurteile haben. erkenntnis aber baut auf wissenschaft auf, die ihrerseits auf vorhergehenden erkenntnissen aufbaut."
was meinen sie mit "vorurteilsfrei"? "wertfrei"? daran glaube ich nicht. erkannt wird, was erkannt werden SOLL, dahinter liegen gesellschaftlich wirksame urteile, vorurteile, werturteile.
nehmen sie freud. seine psychoanalyse hat die art, in der wir uns selbst hinterfragen, unsere bedürfnisse interpretieren etc. gewaltig geprägt. und sie entstand auf dem boden ihrer zeit und konnte ausschließlich auf diesem entstehen.
das ist es jedoch nicht, weshalb ich diese überlegungen hier herüber genommen habe, um sie zu widerlegen, daran liegt mir wenig.
es ist mehr ein puzzleteil ist.
ich bin derzeit auf der suche nach der frage, wie "befreit" unsere (nein, MEINE! so egozentrisch bin ich) sexualität ist, wo in dieser "befreiung" der sexualität nicht der nächste käfig steckt.
parallalie antwortete am 25. Jan, 22:32:
ich begreife jetzt etwas besser. es schien, als wollten Sie etwas an meiner aussage - nun ja - "schmälern" -, die selbst nichts als ein suchen war.da Ihr suchen direkt auf die sexualität abzielt : mein suchen selbst ging nicht in diese richtung : was ich glaube ist, daß sexualität befreiend sein kann : sofern nicht vorher schon käfige geschaffen wurden : in die sie sich einsperrt : es hängt : meine ich : von vielen dingen ab : vor allem aber von der wahrnehmung : die man von sich selbst hat : und das läßt sich vielleicht mit dem begriff "sozialisation" benennen : aber ich bin kein theoretiker : kein wissenschaftler : ich rede aus meinem bauch heraus : so wie ich auch versuche zu schreiben : aus der hand in den mund : das ist mein versuch : zu erfahren : ob es mich letztlich befreit : steht dahin : aber ist mein stückchen freiheit : und befreiung : denn ich glaube nicht : daß die befreiung einzig in der sexualität liegt : sie ist ein befreiendes ventil : dem man sich öffnen soll : sie stellt einen bloß : und bloß dastehen : ohne sich wehren zu wollen und zu können : das heißt : sein
vorurteilsfrei : ja ich meine wertfrei : auch im merkantilen sinn : sicher : es wird allgemein das erkannt : von dem behauptet wird : daß man es erkennen solle : davon muß man absehen
ganz simpel gesagt : die haut : ist die kommunikationsschicht zwischen innen und außen : die sich im außen und innen des/der anderen spiegelt : sofern es das sexuelle betrifft : gilt aber auch für alle anderen sinnesorgane : die mit etwas anderem kommunizieren : das sie wahrnehmen
und wer dann behauptet : sie bestehe aus drei oder mehr schichten : hat sie zwar studiert : aber nicht wahrgenommen : zumindest nicht zu seinen wissenschaftlichen zwecken
Sie erwähnen freud : ich meine : wir haben in solchen leuten theoretiker einer befindlichkeit : die zu einem bestimmten zeitpunkt : bestand : aber je mehr dieser zeitpunkt von uns abrückt : desto fragiler wird die theorie : die auf jener befindlichkeit beruht : sie beeinflußt uns : das ist wahr : weil sie uns lehrt : mechanismen zu begreifen : die dennoch fortbestehen : die uns aber irreleiten können in dem sinne : als sie uns zwar ähnliches beschreiben : aber nicht genau das treffen : was uns - ja nun - betrifft
also wohl in dem sinne : wir versuchen zu erklären : was wir sind : und greifen dabei auf das zurück : was uns greifbar ist : und da sind zuvörderst die medien : natürlich : dann so ein bißchen psychoanalyse : ein bißchen philosophie usw.
aber all das kann man beiseite werfe : sofern man versucht : wahrzunehmen : was man wirklich spürt
ein schwieriges unterfangen : ich weiß
june antwortete am 25. Jan, 23:11:
ich nehme "sexualität" vor allem als besonderes signum der "befreiung des individuums".zudem gebe ich zu, hier sehr zu verkoppeln. sinnlichkeit mit erotik und erotik mit sexualität.
viele fragen stellen sich hier rein assoziativ zugleich:
erlebe ich (mich selbst als) sinnlich unabhängig von eben normierungen, die die wissenschaft aufgreift wie auch erzeugt?
als anderes beispiel:
erkenne ich mich als "verrückt", als "behandlungswürdig" aus mir selbst heraus oder ist es der gesellschaftliche spiegel. und wenn es zweiterer ist, woher stammen die indizien, die das urteil (zu) verifizieren (scheinen)?
sie sehen, ich taste.
ich habe keine theorie, die ich zu verteidigen trachte.
sie schreiben zum beispiel:
"die haut : ist die kommunikationsschicht zwischen innen und außen".
das ist sie zweifellos. wie augen es sind, ohren, der geruchssinn.
und dennoch: ich sehe dinge anders je nach - wie sie auch richtig erwähnen "sozialisation". nur eben auch diese ist durch die wissenschaften zumindest implizit geprägt, da wir von menschen sozialisiert werden, die durch diese geprägt sind.
für heute muss ich aussteigen. bin müde. sehr müde.
gute nacht.
parallalie antwortete am 26. Jan, 12:18:
ich will mich hieran "aufhängen":"erkenne ich mich als "verrückt", als "behandlungswürdig" aus mir selbst heraus oder ist es der gesellschaftliche spiegel. und wenn es zweiterer ist, woher stammen die indizien, die das urteil (zu) verifizieren (scheinen)?"
schrieben Sie
ich fürchte, die rede ist von konventionen, die festgeschrieben werden. in vielerlei form. als gesetze. ob im zusammenhang mit der jurisprudenz, ob als solche, von denen wissenschaft (und vor allem psychologie und medizin) meint, daß dieses guttut und dieses wehtut. daß dieses straft und daß dieses belohnt. denn in all diesen fällen geht es darum, ein gemeinwesen zu ordnen. aber das ist die kollektivität. zu der man erzogen wird. zumindest versucht man es. und die kollektivität wird als ganzes gesehen. und ich würde sagen: als biologisches ganzes. das gedüngt wird je nach bedarf. dem pflanzenschutzmittel eingeimpft werden. dem ein höherer sinn aufgestülpt wird : die kirche. alles individuelle ist dabei nur spielform. und je weiter die spielform des individuellen sich vom ziel des ganzen entfernt, desto mehr entsteht ein konflikt zwischen beiden. diesen konflikt trägt mitnichten die kollektivität aus, sondern das individuum, das seiner unangepaßtheit bewußt ist.
der spiegel ist allemal das allgemeine. mit dem man sich zwangsläufig vergleicht.
und verschnaufen... (ich)
june antwortete am 26. Jan, 16:55:
ein schritt unter die haut
ich habe andernorts versucht aus einer anderen perspektive noch einmal auf diesen themenkomplex zuzugreifen.um noch einmal zu verdeutlichen, dass es mir ganz klar um die empfindung selbst geht.
um die prägung von wahrnehmung, selbstwahrnehmung, sinnlichkeit, leidenschaft, begehren, sexualität im weitesten sinn.
sie schrieben:
"es hängt : meine ich : von vielen dingen ab : vor allem aber von der wahrnehmung : die man von sich selbst hat :
[...]
ob es mich letztlich befreit : steht dahin : aber ist mein stückchen freiheit : und befreiung : denn ich glaube nicht : daß die befreiung einzig in der sexualität liegt : sie ist ein befreiendes ventil : dem man sich öffnen soll : sie stellt einen bloß : und bloß dastehen : ohne sich wehren zu wollen und zu können : das heißt : sein"
sehen sie und gerade da befrage ich mich, mein empfinden, meinen körper, meine "sinne":
ist sexualität ein befreiendes ventil, dem man sich öffnen sollte?
sicher ist sie das.
sie wurde auch befreit, aus der tabuzone herausgeholt. und gleichzeitig normiert. kaum trat sie ans tageslicht des diskurses wurde sie auch schon vermessen, normiert (noch vor der "sexuellen revolution" würde ich meinen, daher sogar die naheliegende vermutung, dass die vermessung und normierung es erst möglich machte, das tabu zu brechen).
kann es sein, dass hier die moral lediglich der wissenschaft gefolgt ist?
demnach würde zwar ihr satz immer noch stimmen, dass die sinne vor der wissenschaft liegen, jedoch fühle ich nicht, dass die wissenschaft von der sinnlichkeit ausgeklammert ist.
auch das "monströseste" der sexualität (als maximum an sinnlichkeit) wird untersucht, in statistiken gepresst, mit theorien unterfüttert.
es wird nicht nur die prägung erklärt, es prägt die erklärung.
das ist jedoch kein kopf-konstrukt und soll auch nicht als solches verteidigt werden, dem kann nur nachgespürt werden, unter der jeweils eigenen haut - vielleicht sogar unter der haut des "du".
auf den aspekt des verrücktseins komme ich ganz sicher ein andermal zurück, der ist mir wichtig.
parallalie antwortete am 27. Jan, 19:06:
ich mußte an diesen thread denken, als ich unten stehendes bei Musil las. Denn ich wußte nicht, wie noch antworten. Etwa auf Ihre Erotik. Das mögen Sie mir mit meinen fast 52 jahren und meinem eher durchschnittlichen testosteron-spiegel nachsehen, daß ich auf der ebene zwar gehandicapt bin, aber dennoch weiß, was erotik sein kann, ich also nicht in der beschreibung selbst schon ertrinke, sondern eher meine, daß ein beschreiben der erotik, wie Sie es tun, auch schon eine distanz erzeugt, die der leser bei Ihnen selbst empfindet. Es geschieht, und Sie schauen zu. Denn die worte, die – wie auch bei anh zuweilen – diese erotik beschreiben, scheinen mir der versuch, sie zu verwissenschaftlichen. Wogegen Sie sich aber wehren. Ich glaube, man kann dies auch anders beschreiben, wo die worte, die man benutzt, einen in den erotischen strudel hineinziehen. Das ist nicht sehr einfach. Weil gerade das erotische spiel das denken ausschaltet, so daß eine ganz andere ebene als die der beschreibung vonnöten ist, um gerade dies zu evozieren. Kurz, erotik auf der ebene der beschreibung dessen, was geschieht, wiederzugeben, entzieht sich aller erotik, weil die beiden ebenen – die der worte und die der erotik – einander fremd sind. Denn sonst liest man es und denkt: so also macht der und so also macht die das. Und ich? Womit ich sagen will, daß auch auf diese weise ein modellcharakter vorgeführt wird: ich traue mich, darüber zu schreiben, und so sollte es (für mich – aber das steht oft nicht da) sein. Es wird einfach nur etwas technisches vorgeführt, daß nicht-technisches evozieren soll, aber es nicht tut.Der Gedanke liegt nahe, daß wir unser menschliches Geschäft äußerst unrationell betreiben, wenn wir es nicht nach der Art der Wissenschaft anfassen, die in ihrer Weise so beispielgebend vorangegangen ist.
Das ist auch wirklich die Stimmung und Bereitschaft eines Zeitalters – einer Anzahl von Jahren, kaum von Jahrzehnten – gewesen, von der Ulrich noch etwas miterlebt hatte. Man dachte damals daran – aber diese „man“ ist mit Willen eine ungenaue Angabe; man könnte nicht sagen, wer und wieviele so dachten, immerhin, es lag in der Luft -, daß man vielleicht exakt leben könnte. Man wird heute fragen, was das heiße? Die Antwort wäre wohl die, daß man sich ein Lebenswerk ebensogut wie aus drei Abhandlungen auch aus drei Gedichten oder Handlungen bestehend denken kann, in denen die persönliche Leistungsfähigkeit auf das Äußerste gesteigert ist. Es hieße also ungefähr soviel wie schweigen, wo man nichts zu sagen hat; nur das Nötige tun, wo man nichts Besonderes zu bestellen hat; und was das Wichtigste ist, gefühllos bleiben, wo man nicht das unbeschreibliche Gefühl hat, die Arm auszubreiten und von einer Welle der Schöpfung gehoben zu werden! Man wird bemerken, daß damit der größere Teil unseres seelischen Lebens aufhören müßte, aber das wäre ja vielleicht auch kein so schmerzlicher Schaden. Die These, daß der große Umsatz an Seife von großer Reinlichkeit zeugt, braucht nicht für die Moral zu gelten, wo der neuere Satz richtiger ist, daß ein ausgeprägter Waschzwang auf nicht ganz saubere innere Verhältnisse hindeutet. Es würde ein nützlicher Versuch sein, wenn man den Verbrauch an Moral, der (welcher Art er auch sei) alles Tun begleitet, einmal auf das äußerste einschränken und sich damit begnügen wollte, moralisch nur in den Ausnahmefällen zu sein, wo es dafür steht, aber in allen anderen über sein Tun nicht anders zu denken wie über die notwendige Normung von Bleistiften und Schrauben. Es würde dann allerdings nicht viel Gutes geschehn, aber einiges Besseres; es würde kein Talent übrig bleiben, sondern nur das Genie; es würden aus dem Bild des Lebens die faden Abzugbilder verschwinden, die aus der blassen Ähnlichkeit entstehen, welche die Handlungen mit den Tugenden haben, und an ihre Stelle deren berauschendes Einssein in der Heiligkeit treten. Mit einem Wort, es würde von jedem Zentner Moral ein Milligramm einer Essenz übrigbleiben, die noch in einem Millionstelgramm beglückend ist.
Musil, s. 245 f. [Kap. 61]
june antwortete am 28. Jan, 15:31:
"(...) daß ein beschreiben der erotik, wie Sie es tun, auch schon eine distanz erzeugt, die der leser bei Ihnen selbst empfindet. Es geschieht, und Sie schauen zu."
sie haben ja recht.
it's one of THOSE phases, I admit ....
Irgendwann kam unausweichlich und immer der Moment an dem ich mich fragte "was mache ich da?". Der Moment, in dem ich mich bei Mr. Right fallen lassen kann, in dem Körper und Kopf eins sind, eins in Verlangen und Lust, der Moment war es, in dem ich in solchen Situationen meinen Körper verließ, Zuschauer war. Manchmal belustigt, manchmal beinahe peinlich berührt oder teilweise sogar Haltungsnoten vergebend. Mir selbst fremd und abgetrennt von meinem Unterleib.
Ohne Anflug des Verliebtseins spielt mein Körper mit, meine Seele klinkt sich aus. Was bleibt ist Leere danach - im besten Fall. Manchmal auch Trauer oder Schmerz, der Schmerz der "ontologischen Differenz"(?).