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Untertitel: Der Zuhälter und ich

Untertitel II: Früher war alles besser?

Ich lese sie wirklich gern, diese Frau. Ich mag Ihre Klarheit und Authentizität.

Und immer wieder stoße ich dabei auf meine eigene Vergangenheit.

Im Alter von knapp 20+ habe ich (ich weiß nicht, ob ich irgendwann hier schon einmal davon erzählt habe) in illegalen Nachtclubs gejobbt, um mir mein Studium zu finanzieren. Dem ging ein Machtkampf mit meinem Vater voraus. Nach drei Semestern wollte ich die Studienrichtung wechseln und er meinte: "Nur, wenn du dir das selbst finanzierst." Und so kam es, dass ich über einen entfernten Bekannten aus der Szene diesen Job bekam.
Illegale Schwarzarbeit mit der Chance eine ganze Menge Kohle zu verdienen in einem "Club", der um 24 Uhr öffnete und frühestens um 10 Uhr Vormittag zusperrte, sollten die Gäste nicht ausbleiben.
Die Stammkundschaft bestand aus "Unterweltgrößen", Straßennutten, die ihren Dienst beendet hatten und Lokalbesitzern und Barkeepern div. Diskotheken.
Bis vier Uhr früh war ich fast allein, der Türsteher unterwegs um Drogen zu verchecken bis ich irgendwann begann ein paar Halbwüchsige rein zu lassen die gehen mussten, sobald die ersten "ernsthaften" Kunden auftauchten. Das waren Kids aus desolaten Familien, viele bereits auf Heroin, die auch ihre Folien bei mir rauchten und sich vor allem bei mir auskotzten. Es waren schlimme Geschichten und ich hatte auch nicht den Anspruch sie zu "bekehren", sie durften einfach "Pause" machen bei mir, mussten nichts konsumieren, ab und zu spendierte ich ihnen sogar ein "Red Bull" oder ein Cola.

Am dritten Abend hinter der Bar kam in den frühen Morgenstunden ein Typ Marke "Kleiderkasten", optisch wirklich beeindruckend bis furchteinflößend. Der erste Gast, der sich zu mir an die Bar setzte und mich siezte. Ich lachte ihn aus, meinte, er könne mich ruhig duzen und was er denn trinken wolle. Er lud mich auf zwei Drinks ein und fragte mich dann, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm noch wo anders hin zu gehen. Ich verneinte, meinte, so früh könnte ich den Club noch nicht schließen.

Oh doch, ich konnte. Wie sich herausstellte war er einer der drei Besitzer (der Bekannte über den ich zu diesem Job gekommen war, war nur der Geschäftsführer). Und da erst (ja, ich war damals furchtbar naiv) begann ich langsam zu begreifen, wem der Club gehörte. M (Chef der Truppe), H. (verantwortlich für die Finanzen) und R. (*der* Zuhälter der Stadt).
M. kontrollierte damals alles - den Strich bis runter nach Rimini, den Drogenhandel, aber auch den illegalen Waffenhandel, "Schutz" für Lokale etc.

Es war R., mit dem ich zu tun hatte, es war R., mit dem ich an diesem Tag noch bis in den frühen Abend hinein in anderen Clubs (auch alle in der Hand der selben Crew) unterwegs war.
Es war R., der mich von da an hofierte, mich gratis mit Drogen versorgte (die Schichten waren ohne Aufputschmittel kaum durchzustehen, die Uni sah mich ohnehin nicht mehr). Und es war R., in den ich mich letztlich verliebte und mit dem ich ein Verhältnis begann, das zunächst auch die volle Billigung M.s erfuhr.

Die Sache begann bereits leicht zu kippen als wir unsere erste gemeinsame Nacht verbrachten. Als ich aufwachte war er weg und eine nicht unbeträchtliche Summe lag auf meinem Nachttisch, die ich ihm, als er mich Nachts im Club wie üblich besuchte in die Hand drückte und ihm sagte, er möge bitte aus meinem Leben verschwinden, er hätte da wohl grundlegend etwas missverstanden, ich wäre *nicht* käuflich.

Ich werde es nie vergessen, wie dieser Bär von einem Mann vor mir stand, verlegen wie ein Schulbub - ich hätte das alles missverstanden und so wäre es auch nicht gemeint gewesen ... (Jahre später erfuhr ich, dass ich mit meinem Verdacht natürlich doch richtig gelegen bin, dass ihn meine Reaktion zutiefst irritiert hatte.)

Von da an jedoch hatte sich unsere "Beziehung" noch einmal gewandelt, begann er mir zu erzählen von allem, wie er zur Fremdenlegion kam, wie er von dort abhaute, wie er M. kennen lernte, wie seine "Zuhälterkarriere" begann, wie das läuft mit den Mädels, wie er es empfindet. Keine Frage, die ich nicht stellen durfte, wenn wir allein waren - und das waren wir oft.

Und ich genoss dank unseres Verhältnisses einen besonderen Status, war quasi "unantastbar". Wie schnell sich das änderte als R. schließlich für 6 Monate ins Gefängnis musste, weil er eine Frau krankenhausreif geschlagen hatte, sollte ich erst merken, wobei ich auch das nicht glauben konnte. R. war für mich jemand, der nie auf schwächere losgehen würde, jemand mit einem "Ehrenkodex", ein Beschützer ... das Faktum, dass er genau das getan hatte, dass er genau dafür sogar verurteilt wurde, blendete ich recht erfolgreich aus.

Ja, ich war naiv, sehr naiv. Es galt natürlich dieser "Ehrenkodex", nur hatte ich darunter ganz andere Vorstellungen, die nicht annähernd der Realität entsprachen. Ja, er beschützte *mich*, im Sinne einer perversen Mythologie, die wohl am ehesten dem entspricht was Klaus Theweleit in "Männerphantasien" herausgearbeitet hat und auch seine Briefe an mich aus dem Gefängnis sprachen diese Sprache von "kleiner Schwester und großem Bruder".

Ich hatte es nicht leicht in der Zeit, als er weg war vom Fenster und merkte den Unterschied. Nicht *ich* war respektiert worden in dieser ganzen Zeit, ich war respektiert worden als R.s Eigentum. Wie sehr hatte ich mich nur selbst überschätzt.

Die endgültige Eskalation hatte einen mehr als banalen Anlass. R. war wieder heraußen. Wir feierten das bis spät in den Nachmittag hinein, dann gingen die Zigaretten aus. Irgendjemand hätte fahren können, man hätte Nachschub auch via Taxi bestellen können, aber plötzlich war klar: Ich als die einzige anwesende Frau hätte dafür zu sorgen und R. sollte gefälligst dafür sorgen, dass ich das auch mache. Ich, mit dem Makeup der Nacht und in den Klamotten der Nacht fragte ihn: "Du sag, das ist jetzt aber nicht dein Ernst, dass ich in der Aufmachung zum Bahnhof (nur da gab es Zigaretten) fahren soll?"
Er wand sich. Zog mich an sich, meinte, ich solle jetzt dafür sorgen, dass er nicht sein "Gesicht" verliert, plapperte sogar etwas von Eva, die aus der Rippe Adams gemacht ist (kein Scherz!).

Ich stand wortlos auf und ging.

Auch wenn wir uns später noch ab und zu trafen und unterhielten, bis die gesamte Bande in einem aufsehen erregenden Prozess wegen organisierter Kriminalität hinter Gittern verschwand, darüber kamen wir nicht hinweg. Er brauchte lange, um sich wegen dieser Kleinigkeit vor seinen Kollegen wieder zu "rehabilitieren".

So klein also war das Ego dieser vermeintlich "großen starken Männer", so zerbrechlich ihr Status und ihr Ego.
Da erst begriff ich, warum er, wenn wir in seine noch vom vorhergehenden Abend verwüsteten Wohnung kamen, gleich nach dem Aufstehen begann wie ein Besessener Ordnung zu machen, obwohl sich nur die angekündigt hatten, die auch für die Verwüstung mitverantwortlich waren. Es war, um den Anschein zu wahren, *ich* würde selbstverständlich das Chaos beseitigen, wenn ich schon bei ihm bin. Eine Frau bei sich zu haben, die nicht seinen Dreck beseitigt, auch das wäre eine Frage der Ehre gewesen, ein potenzieller "Gesichtsverlust".

Und da erst begann ich auch langsam zu begreifen, dass es nie *ich* war, die er beschützt hat, es war immer nur er selbst, immer ging es nur darum *sein Gesicht* zu wahren. Alles war nur nötig um zu vertuschen, dass er es nicht fertig gebracht hätte, mich zu schlagen.

Was mich heute oft noch beschäftigt ist, wie blind ich war, wie sehr ich meine privilegierte Rolle in diesem Spiel für meinen eigenen Verdienst hielt, diese verdammte Eitelkeit, die mich daran hinderte das Ganze zu sehen, am Lack zu kratzen. Wie verführerisch es war, mich für etwas Besonderes zu halten und wie enttäuschend festzustellen, dass ich nichts Anderes war als Opfer der Umstände - ein beliebig austauschbares Mosaiksteinchen im Spiel von Macht und Ehre und Männermythen, dass ich nichts anderes hatte als eine gewaltige Portion Glück.

"Ich nenns natürliche Auslese, so sterben die “Dummen”", schreibt ein/e gewisse/r "Farun" im Rahmen dieses Beitrags von Venus.

Dummheit und Leichtsinnigkeit aus Liebe verdient den Darwin-Award?
Ja, wohl wahr. Und natürlich ist es dumm so leichtsinnig zu sein als Sextouristin, aber wer darf darüber urteilen? Wer ist sich so sicher in ähnlicher Situation nicht ebenso irrational zu agieren?
Ich tu mich so schwer über Menschen zu urteilen, in deren Haut ich nicht stecke - und gar sie zu verurteilen.

Wie viel tut man dafür, sich geliebt, sich begehrt zu fühlen?
Mehr Menschen sterben durch Selbstmord als aufgrund von Autounfällen ...

(Warum ist mir gerade DAS jetzt eingefallen?)

PS: Dabei würde ich mich auch leicht tun, darüber zu spotten, weil eines wird mir wohl nie (mehr!) passieren: Dass ich mich sexuell angezogen fühle von einem Mann, der sich seinen Platz nicht in meiner erogensten Zone gesichert hat: zwischen meinen Ohren. Da scheiden sehr junge Männer ebenso aus wie solche, mit denen ich mich nicht ausreichend unterhalten kann) - aber so hat eben jede/r ihren/seinen "Tick".

nur wenige Wochen, auch wenn es sich für mich anfühlt wie eine kleine Ewigkeit -
beinahe genau so:

Ich habe gewartet auf den Augenblick, da ich wieder anschließen kann an Terpsichores Tagebuch von vor 2 Jahren. Aber es gibt ihn nicht. Vielleicht, weil es die Frau von damals nicht mehr gibt. Es ist, als halte ich ein Seil mit zwei losen Enden in den Händen und versuche verzweifelt einen Knoten zu binden. Das aber gelingt nicht. Es würde keine wirkliche Verknüpfung geben, es wäre eine Bruchstelle, eine Schweißnaht, so unsauber und roh, dass kein Handwerker sie würde durchgehen lassen.

"Weil es die Frau von damals nicht mehr gibt".

Die Frau von damals? Verzeihung, Sie meinen die Frau von vor wenigen Wochen?

Ja, genau die.

Und Sie denken nicht, dass das wieder einmal (ohne das, das geschehen ist klein machen zu wollen), eine Ihrer typischen Überreaktionen ist? Eine zugeschlagene Tür macht kein neues Leben und aus Ihnen keinen anderen Menschen. Was geschehen ist, das gebe ich ja zu, hat Sie wieder etwas geerdet. Sie haben das gebraucht, Madame, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen. Was war denn überhaupt noch echt und pur an Ihren kleinen Dramen? Was waren die denn noch anderes als Spielwiesen Ihrer Eitelkeit?
Leere Rituale künstlich mit Retortenemotionen aufgefüllt, seien Sie doch ehrlich.
Sie leiden, Madame? Fühlt sich anders an als die langsam zur Pose gewordenen, dramaturgisch hochgespielten kleinen Egokratzer? Tja, vielleicht bringen Sie jetzt endlich mal Ihren Arsch in die Höhe und Ihr Leben in den Griff?


Aber ich ...

Aber Sie *was*? Sie geben "dort draußen" eh die Toughe, Sie gönnen sich nur hier Ihre kleinen Schwächen? Rollen, nichts als Rollen, hier wie dort. Authentizität, können Sie das überhaupt noch buchstabieren, dieses Wort?.


Und so streiten wir oft dieser Tage, sie und ich. Und ich weiß, dass sie Recht hat in so vielem, das sie sagt, aber dass sie wieder sanfter werden könnte mit mir, sich Pausen gönnen könnte in ihren Tiraden und mir übers Haar streichen, weil ich das brauchen würde -

gerade jetzt.

Und überhaupt könnte sie mich zumindest wieder Duzen.

Verbrennen mußt du dich wollen
in deiner eigenen Flamme.
Wie wolltest du neu werden,
wenn du nicht zuvor Asche geworden bist!

Friedrich Nietzsche

Das hier ist ganz wunderbar zu lesen. Und wäre ich bereits vor 20 Jahren in der Lage gewesen das zu tun, was ich heute noch immer wieder so schwer kann: Sex und Liebe zu trennen, dann wäre es das vielleicht sogar gewesen für mich.
Heute bin ich zu alt für diesen Lebensentwurf, aber die Autorin beschreibt diese Art zu leben in einer Weise, die ich sehr ansprechend finde. Die Dinge so zu sehen hätte mir vermutlich viele Vorteile beschafft und viele Tiefen erspart.
Sympathische Frau jedenfalls, die, die das schreibt, und lesenswert ihr Blog.

Und ich wandere immer noch durch einen gottverdammten Traum der wirklich kaum einen Unterschied macht zwischen Traumsequenzen und "Realität".
Vorgestern Nacht war ein neuer Tiefpunkt. Ich wäre nicht in der Lage gewesen am Freitag in die Fabrik zu gehen, tat, was ich konnte von Zuhause aus und lag doch insgesamt drei Stunden, teilweise mit meinem Laptop, mit Schüttelfrost unter zwei Decken und das in einer Dachgeschoßwohnung mit mindestens 27°C Außentemperatur.
Heute dafür am Nachmittag gearbeitet, später auf der Terrasse gesessen - sogar noch nach Sonnenuntergang und mit Kerze unter dem gekippten Sonnenschirm - ein Hauch von Zeltatmosphäre.

Ja, ich bekomme das alles in den Griff, ich bekomme es wieder in den Griff, nur Zeit würde ich dafür momentan brauchen, Zeit, die ich nicht habe, weil das Funktionierenmüssen zu viel davon stiehlt. Vielleicht ist es aber auch genau das, das mich aufrecht hält ...

von allen banalen (Schlangenbiss in den Unterschenkel) und seltsamen Träumen der letzten Nächte, in denen ich unter Anderem auch einen Liebhaber in einer Art Hasenstall verwahrt und beinahe vergessen hatte - erstaunt, erleichtert, dass er noch lebte, als ich die Kiste öffnete, war dieser doch der skurrilste:

Ein Arbeitskollege unterzog sich einer Geschlechtsumwandlung und forderte mich anschließend zu einem Klitorisvergleich ...

Unwetter reinigen die Luft, sagt man. Das tun sie, zweifelsohne. Manches muss manchmal auch durchgebeutelt werden, auf seine Belastbarkeit getestet - was fällt ihm zum Opfer, was hält stand?
Was ist es wert neu aufgebaut zu werden, welche Schäden sind nicht mehr zu richten?

Das muss sich erst zeigen.
Vorerst steht sie hier und atme sie tief ein, die geklärte Luft.
Unsicher, verunsichert, staunend, ...
Unter ihr das Fundament im immer noch trüben Wasser, im Dach ein paar Lecks.
Zumindest kein Papierkram mit der Versicherung. Nicht in ihrem Fall.

Ein bisschen steht sie noch unter Schock, was sie manche Dinge leichter nehmen lässt, oder einfach klarer sehen, das liegt dann wohl wieder an der reineren Luft, kann auch sein.

Sie kann das (Göttin sei Dank!) ja besser als ich, das mit dem Abwarten, das mit der Geduld, das mit den vorsichtigen Schritten, aber das ist nur eine Frage des Vergleichs. Meisterin wird sie darin wohl auch nie eine werden.

Und es sind Freunde da. Freunde, die zuhören, halten, vorsichtig versuchen Perspektiven zu ändern in stundenlangen nächtlichen Telefonaten oder auf ihrer Couch bis 2 Uhr Nachts und länger, den ein oder anderen Eimer Wasser helfen raus zu tragen oder ein bisschen an den Dachziegeln rütteln und ein Leck stopfen helfen.
Die sind unbezahlbar. Beschämen beinahe.

Der Sommer der Unwetter in Österreich.
Ihr Auto hat es unbeschadet überstanden. Flucht ist immer noch möglich.

Stahlarbeiter prügeln Manager zu Tode.

Nein, nein, nein, das macht man einfach nicht.

Obwohl ...