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"wie geht es dir heute?", fragt sie, diesmal in jeans und weissem t-shirt, als ich mich mit meinem kaffee zu ihr auf den tisch setze.

himmel hilf! geht es noch schwieriger, um diese uhrzeit?

stell dir vor, da ist ein fluss. ein ganz neuer, junger fluss, vielleicht sogar eher ein bach. ja, nimm einen gebirgsbach. so einen mit vielen großen steinen in seinem bett, an denen er sich stößt, die ihn strudeln lassen, all das zeugs eben. ein bach.

und stell dir vor, der bach trifft unvermutet auf eine mauer. groß und fest. und weil der bach ein bach ist, kann er nicht anders als die mauer treffen, mit voller wucht, mit seinem ganzen sein.

es dauert, bis die wirbel sich legen, die alles aufwühlen, auch den grund und sich das wasser langsam in einer trüben suppe beruhigt, der sand sich setzt.
hübsch ist er dann, der kleine, ruhige see - da vor der mauer - nur kein bach mehr und der frieden ist trügerisch.

wir wissen beide, was geschehen wird. er wird einen weg finden wieder zu fließen. keine mauer der welt ist auf dauer stark genug für einen kleinen bach.

sie gähnt, beovr sie noch einmal an ihrem kaffee nippt. "okay, okay, it's one of THOSE days."

mein gott, es ist sieben uhr früh!

"und was macht henry?

er beginnt ein neues leben.

????????

er läuft.

das schweigen dauert fünf augenblicke, dann erfüllt ihr schallendes lachen den raum.

der war gemein - aber gut!

ja, grinse ich. ich weiß.

und manchmal sitzen sie dir auch als menschen gegenüber, aus fleisch und blut.

herzenswärme - das richtige wort zur richtigen zeit, die richtige frage, die richtige geste, eine umarmung oder auch nur die sanfte berührung der wange. die richtige cd im gepäck. und auch der kübel wasser, wenn er gebraucht wird "hehe, wach auf" - you understand?

es gibt so wenig warme herzen auf dieser welt, aber es gibt sie.

an dieser stelle einfach danke. danke an die engel in meinem leben.
ich liebe euch!

june

stellt sie so trocken fest, dass es ihre botschaft auf absurde weise verstärkt.

lachen? beg your pardon, aber was ist daran noch lustig?

aber komm, ich bitte dich! das ist lustig. genau besehen ist es zum schreien komisch. das ist slapstick, direkt aus dem leben gegriffen. wo um alles in der welt ist dein sinn für humor geblieben?
das problem mit euch menschen ist, dass ihr euer leben immer so verdammt persönlich nehmt - und so tierisch ernst. melodramatische kindsköpfe!

aber wenn es dir besser geht, dann malen wir jetzt mit seinem shampoo und seinem rasierschaum ein pentagramm auf den balkon, verbrennen sein foto und testen den fluch, der ihm zumindest einen riesengroßen pickel auf der nase spriessen lässt.

ich rotze sehr geräuschvoll in das zerknitterte taschentuch, das sie aus ihrer jeanstasche zieht und mir ungeduldig vor die nase hält und muss selber grinsen als ich sage: "nicht vor dem junimond".

und habe ihre Hand gehalten und mit ihr getrunken. Und wir haben gemeinsam den Geschichten von Männern gelauscht.
Den Geschichten ihrer großen Lieben.

Ich war den ganzen Tag bei ihr, jede Minute. Ich würde sie nicht allein lassen, seit gestern Nacht - Nein, nicht weil ich Angst hätte, sie würde sich etwas antun (dazu ist sie noch zu süchtig nach dem Leben an sich), sondern weil jede Minute zählt.

June wird nicht sterben, nicht einfach so. Weil sie die Versuche - und das, was davon bleibt - schon zu gut kennt. und weil sie keine 13 mehr ist.
June hat mir erzählt davon - von dem einzigen, von dem niemand erfuhr. Dem Einzigen, der es Wert gewesen wäre : "und ich war glücklich. so glücklich wie nie zuvor in meinem leben und ich habe ihn vor mir gesehen, den vollmond. anais, ich hatte "losing my religion" im radio und diesen vollkommenen mond vor mir und das perfekte glück im herzen und wusste: jeder flirt mit dem tod bisher war nichts als eine billige farce. es kann, es darf, es soll wenn dann SO sein: jetzt die kurve nicht nehmen und hineinfahren, in DIESEM mond explodieren und - wenn es ein jenseits gibt, dann das mitnehmen, was ich JETZT empfinde: das vollkommene glück."
Und June trauert heute noch manchmal um diesen Augenblick. "Etwas" in ihr hat gelenkt und ihn ihr verwehrt - den vollkommenen Tod - wie er ihr niemals wieder begegnen wird. Nie wieder!
Seitdem liebt sie den Tod (unglücklich, wer würde anderes vermuten?) und den Mond (sehnsüchtig. Je voller und oranger desto mehr). Weil sie weiß dass er sie immer noch in sich trägt. June, wie sie war, an der Schwelle zwischen Glück und Hoffnung und dem Ende. June in ihrer Essenz.

June liebt. Den Tod. Und den, der sie hält, wenn sie fällt.

Und verlorene Täume. Die auch. Aber weniger, Tag für Tag. Und auch wenn June nicht an sie glaubt:
Göttin sei Dank!

als ich am nächsten morgen in die küche komme - nein, nicht komme, das klingt so nach aufrechtem gang, eher schlurfe, beinahe schon krieche, obwohl, das ist dann auch wieder übertrieben.

als ich also am nächsten tag in meiner üblichen schlaftrunkenen und morgenmuffeligen art in die küche komme, sitzt sie immer noch auf diesem tisch, barfuß in ihren jeans und dem schwarzen mohair-pulli, von dem sie immer noch sehr konzentriert die federn entfernt. also wäre genau hier die zeit stehen geblieben.

ich finde es sehr höflich von ihr, dass sie mich ignoriert, während ich mich mit dem wieder einmal verklemmten drehverschluss der espressomaschine abmühe. ich mag menschen - oder auch alle anderen wesen -, die meine garfield'sche "don't talk to me until I had my first cup of coffee"-ausstrahlung richtig zu deuten wissen.

dafür hat sie sich auch eine tasse verdient - und eine zigarette. und so sitzen wir einander gegenüber, sie auf dem tisch, ich auf der anrichte und lassen die füsse baumeln.

"also erzähl nochmal", durchbricht sie schließlich doch das schweigen, "du glaubst nicht an die schwerkraft, aber du glaubst an engel?".

na wenigstens ein thema, bei dem ich nicht denken muss, denke ich und unterdrücke ein gähnen.
"nein, ich glaube auch nicht an engel. ich glaube nicht an dinge, die einfach existieren, was würde das auch für einen sinn machen?
ich glaube nicht an häuser, autos, blumen, die schwerkraft, engel oder die tasse kaffee, an der ich mir gerade eben die finger verbrannt habe.

ich glaube an so dinge, wie frieden, das große glück. ich glaube an echte partnerschaft - nicht an seelenverwandtschaft, mit der ist es wie mit der schwerkraft, die spürt man einfach, wenn sie da ist.
ich könnte vielleicht auch an gott glauben, aber der interessiert mich ehrlich gesagt nicht."

"dann glaubst du also auch nicht an die liebe?"

"nein, ich glaube nicht an die liebe. nicht an die kleine liebe, oder die mittelgroße oder die eintagsliebe.
aber ich glaube an die große liebe und daran, dass man sie erkennt, wenn sie einem begegnet, einfach so, als hätte man sie immer schon gekannt."

"wie die schlafenden prinzessinnen im märchen?" grinst sie.

ja, vielleicht hat sie recht. vielleicht ist meine großmutter an allem schuld, denke ich, und springe von der anrichte. das hat sie nämlich immer gehasst, das sitzen auf der anrichte. das war nur zu weihnachten erlaubt, beim keksebacken, aber das ist eine andere geschichte.

[to be continued]

"du bist eine unheilbare romantikerin", grinst sie und zupft sich ein paar federn vom mohair-pulli, nachdem sie sich beinahe die ganze geschichte mehr oder weniger aufmerksam angehört hat. vielleicht auch weniger.

"möglich", zucke ich mit den schultern," eher unheilbar verliebt ins verliebtsein. vielleicht aber auch nur ein testosteronjunkie?"

"nicht wahr", kichert sie, "du glaubst nicht an die schwerkraft, aber neuerdings an hormone?"

ich öffne uns eine flasche rotwein. ihr meine glaubenssätze zu erklären, das wird wohl eine weile dauern.

[to be continued]

ich bin kriegsmüde. ich muss meinen hass loswerden. ich brauche frieden.

vielleicht haben wir uns zusehr bemüht, gleichheiten zu entdecken, haben harmonie, sicherheit, eine schutzhülle, ein heim geschaffen und sind in zu viel zufriedenheit erstickt, haben vergessen, wie wichtig reibung ist und spannung.

dann immer dieser wunsch, zumindest nicht lügen zu müssen. und selbstverständlich haben wir uns belogen beim leisesten anzeichen einer gefahr, einer verletzbarkeit. eifersucht, enttäuschung. wir haben gelogen, um eine illusorische beziehung aufrecht zu erhalten.

einander (wieder) verstehen und lieben wollen, während wir dieses doppelte ich verhüll(t)en, das wir in wirklichkeit sind, daran mussten wir scheitern.

vielleicht sind wir jetzt auch beide verwirrt von unseren fehlern, unglücklich und überrascht von unseren schwächen. die absichten waren gut. die lügen verdeckten unser versagen.

vielleicht wir beide. ich in jedem fall.

nein, natürlich ist er kein "arschloch". natürlich hat alles seinen grund und kann verstanden und mitge-fühlt werden. und selbstverständlich hätte ich niemals ein arschloch geliebt.
ich gehöre nicht zu den frauen, die arschlöcher lieben - nicht mehr, schon lange nicht mehr.

aber seien wir doch nicht kleinlich, wenn es einfach gut tut, das zu schreiben:

henry ist ein arschloch
henry ist ein arschloch
henry ist ein arschloch
henry ist ein arschloch
...


und das jetzt bitte im kindergarten singsang wiederholen. am besten bis zur mondfinsternis. genau so lange halte ich das durch.

wetten? ;-)

"Schreib es", schreibt er. "Das ist deine Bestimmung, das ist der Sinn deines besonders intensiven Durchlebens und -leidens bestimmter Konstellationen, die wie stellvertretend wirken bei all ihrer auf dich bezogenen Privatheit.
Leider glaubst du ja nicht an Sublimation. Aber tu es aus welchem Grund immer. Am besten aus gar keinem. Außer: dass es es raus muss aus dir, dieses Buch, vielleicht nicht für dich, aber für alle anderen."


Schreiben sollte June, über die Quintessenz "ihrer" Frauengeneration. Als wäre nicht gerade das die Quintessenz ihres Lebens, dass es das Endergebnis, das klar bestimmbare Wesen, DEN "Hauptgedanken" nicht gibt. Und was weiß June schon von "ihrer" Frauengeneration? Was weiß auch nur die Hure in ihr von der Romantikerin, die sich mit ihr den selben Körper teilt?

June könnte schreiben. Über einen sanften, scheuen Kuss, der ihren nackten Oberarm so überraschend traf und immer noch wärmt. Über strahlende Augen und ein Lächeln, das ins Mark trifft.

Aber seien wir doch ehrlich: Auch das ist keinen Baum wert.

und June und ich blieben allein.

Und trotz ihrer physischen Anwesenheit ist es, als hörte ich June wie im Traum reden. Keine hysterische June mehr, die lediglich explodiert, sondern die ruhig spricht. Sanft, vernünftig und klar.

"Ich habe mich verbrannt, Anaïs, verbrannt in einer großen Illusion. Ich war blind, Anaïs und kann es ihm nicht vorwerfen. Schon einmal hat er mir die Augen geöffnet. Ich wollte nicht sehen. Ich habe an das Wunder geglaubt.

Ich träume von ihm, Anaïs. Wenn ich von E. träume, täume ich ein Gesicht, Hände, Gesten. Henry träume ich in Arial. Ich träume Worte, Sätze ohne Seele. Grausame Sätze. Sätze an mich, Sätze über mich."

[June starb in Paris]

Und all meine Worte fallen ins Leere.